Selbstverteidigung ist ein großes Thema in der Kampfkunst, denn es verkauft sich besser denn je. Überall springen selbst ernannte Selbstverteidigungsexperten hervor. Kaum eine Kampfkunstschule, die nicht damit Werbung macht, bis hin zu einem 21jährigen, der nach wenigen Jahren Übung, einen Online-Kurs dazu verkauft. Es ist ein trauriger Spiegel der Ängste, die in der Bevölkerung umgehen.

Wir werden sehr oft zu diesem Thema angesprochen. Es gibt eine kurze und eine lange Antwort auf die Frage zur “Selbstverteidigung” und der Kunst, die wir lehren und üben. Die kurze vorab: „Wer bei uns lernt und übt, wird sich auf jeden Fall besser körperlich verteidigen können und mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Opferschema fallen. Wir lehren Moderne Fechtkunst und Historische Fechtkunst aber keine Selbstverteidigung.“ Wer nun wissen will weshalb, der lese die lange Antwort.

Selbstverteidigung effektiv, praxisnah (aus einer Werbung)

Sich mit Selbstverteidigung auseinander zu setzen, heißt zuvorderst die gesetzliche Lage zu kennen. Denn effektive Selbstverteidigung schließt oft eine gesetzesbrecherische Handlung ein. Dass bedeutet, dass man in der Not zur Abwehr ein Gesetz brechen muss. So kann man durch die Flucht in ein Haus zwar rechtlich Hausfriedensbruch begehen, ohne dafür rechtlich schuldig zu sein. Ebenso ist das Verletzen des Angreifers mit eventueller Todesfolge ein Bruch eines Strafgesetzes, doch schuldig ist man deswegen nicht zwingend. Schuld und Gesetz sind getrennte Rechtsbegriffe.  Daher ist es wichtig, die Rechtslage und -auslegung zu kennen.

Die Gesetze zur Notwehr/Nothilfe und Notstand sind in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. In Deutschland ist der Ansatzpunkt das Strafgesetzbuch, Allgemeiner Teil (§§ 1 – 79b), 2. Abschnitt – Die Tat (§§ 13 – 37), 4. Titel – Notwehr und Notstand (§§ 32 – 35 + Bezug auf § 49 Abs. 1).

Tipp: Hier lässt sich auch für Laien schnell erkennen, welcher Anbieter von Kursen sich ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Kennt der Kursleiter die paar Gesetzeszeilen nicht, versteht den Schuldbegriff nicht, kehrt machen!

Angst ist ein Vorteil – Selbstverteidigung lernen” (aus einer Werbung)

Erschrigkestu gern kain fechten saltu nymmer ge lerne (aus einem Fechtgedicht aus dem Jahr 1418)

800px-Auerswald_52Unserer Rechtsauffassung nach hat jeder Mensch das Recht sich ohne Beeinträchtigung seiner Freiheit durch das Leben zu bewegen. Faktisch ist im Recht sein und Recht bekommen nicht gleich gegeben. Daher lehren echte Experten zu einem großen Teil Gewaltprävention sowohl bei potentiellen Opfern, wie auch bei potentiellen Tätern. Ziel ist es, geltendes Rechtsverständnis zu vermitteln. Weniger berufene „Experten“ vermitteln eine so genannte „Situation Awareness“ bei den potentiellen Opfern und schüren so eine Angst, die sich wieder verkaufstechnisch positiv auswirkt. Daher findet sich eine Verteidigung gegen den aktuell brisanten „Antanztrick“ auf etlichen Werbeseiten für Selbstverteidigung, obwohl es ein Trick für Taschendiebstahl ist und meist keinerlei Gefährdung für das körperliche Wohl darstellt. Zwar ist die Verteidigung von Eigentum durchaus auch Notwehr, aber es wäre kaum gerechtfertigt einem Taschendieb, einen Kugelschreiber in den Hals zu rammen. Hier sei eher die Lektüre Fabian von Auerswald zum Häklein aus dem 16. Jahrhundert (Bild rechts) angemessen.

Absolventen solcher unsinnigen Selbstverteidigungskurse sollen sich mit dem Bewusstsein, ein potentielles Opfer zu sein, durch das Leben bewegen, um in anderen Menschen potentielle Täter zu erkennen. Nichts anderes bedeutet „Situation Awareness“. Dass dies oft mit rassistischen und ausländerfeindlichem Vorurteilen einhergeht, ist leider nicht überflüssig zu betonen.

Von Natur aus ängstliche Menschen können keine Selbstverteidigung auf diese Weise erlernen. Sie werden sich immer als potentielles Opfer sehen. Solche Selbstverteidigungskurse verstärken diesen Effekt, da normale und ungefährliche Situationen in der Folge als potentiell gefährdend gesehen werden. Es entsteht “Opferbereitschaft”.

Tipp: Ein Anbieter von Kursen sollte nicht nur Allgemeinplätze von sich geben, sondern die aktuelle Gefahrenlage kennen (sofern es eine gibt). Teilnehmer sollten den Kursleiter vorab fragen, wo die gefährlichsten Ecken in der Stadt sind, in der sie den Kurs erhalten. Hat er darauf keine Antwort mit Straßennamen, ist er schlecht vorbereitet, kehrt machen!

“Mit Selbstverteidigung zu mehr Selbstbewusstsein” (aus einer Werbung)

Tumkunheit meide (aus einem Fechtbuch aus den Jahren 1389-1420)

Im Widerspruch zu der „Situation Awareness“ vermitteln andere oder manchmal die selben Selbstverteidigungskurse vorgeblich ein erhöhtes Selbstbewusstsein, da man in den wenigen Stunden des Kurses erlernt haben soll, sich gegen körperlich überlegene Gegner erfolgreich zur Wehr zu setzen. Dieses falsche Selbstbewusstsein ist nicht hilfreich, denn es gründet sich auf fehlerhaften Annahmen und wird im Ernstfall zu erhöhter Panik führen. Hin- und hergerissen zwischen situativer Wahrnehmung in der potentiellen Opferrolle und der fehlerhaften Wahrnehmung als Kämpfer(in), entsteht ein Konflikt, der eine korrekte Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung der Wirklichkeit verhindert. Angst und Übermut (“Tumkunkeit” als Tollkühnheit) sind keine guten Ratgeber.

Echtes Selbstbewusstsein bedeutet, bewusst zu erkennen, wozu der eigene Geist und Körper in der Lage ist. Es ist schon schwierig genug, die Hemmschwelle zur Gewalt zu überwinden; darauffolgend auch die Kunst zu besitzen, die Gewalt erfolgreich anzuwenden, erfordert weitaus mehr Übung. Gewalt erfolglos anzuwenden, kann im schlimmsten Fall die Eskalation steigern.

Frauen-Selbstverteidigung: Stress-Test statt Theorie“(aus einer Werbung)

Junck ritter lere / Got lieb haben frawen Jo ere / So wechst dein ere / Vbe ritterschafft / vnd lere (aus einem Fechtbuch aus dem Jahr 1452)

i33 walpurgisWir maßen uns nicht an, die Rolle von Opfer oder Tätern zu verstehen. In vielen Selbstverteidigungskurse werden Stresssituationen simuliert, aus der sich ein potentielles Opfer herausarbeiten soll. Damit werden Opfer- und Täterrollen fest vergeben und geübt, bevor geprüft wird, ob die jeweils Übenden in der Lage sind, in weniger stressigen Situationen zu bestehen, oder sich gar in dieser Rolle bereits vorab eingefunden haben.

Es kann durchaus ein Schlüsselerlebnis sein, sich aus der Opferrolle zu befreien. Anderseits kann es auch eines sein, sich in der Täterrolle wohl zu fühlen. Dies wird selten beachtet.

Weiterhin wird hier ein dünnes Erfolgserlebnis als Wesensänderung verkauft. Doch nur weil man sich in einer Situation aus der Opferrolle herausgewunden hat, ergibt sich nicht dadurch ein grundsätzlich verändertes Verhalten. Das Üben dieser Rollen ist völlig falsch. Wesentlich richtiger wäre es, dieses Rollenbild völlig zu negieren. Niemand sollte Opfer oder Täter sein, auch nicht als Übung.

Tipp: Simuliert der Übungsleiter als Vertrauensperson in einem Selbstverteidigungskurs den Täter in Stresssituationen, dann hat er das falsche Rollenbild, kehrt machen!

Drei Reflexe sollten Sie kennen, um nie wieder verprügelt zu werden” (aus einer Werbung)

das eyn swacher mit syner kunst und list / als schire gesigt / mit /als eyn starker mit syner sterke (aus einem Fechtbuch aus den Jahren 1389-1420)

Selbstverteidigungskurse vermitteln Techniken zur Anwendung gegen oft körperlich überlegene Gegner. Diese basieren auf Bewegungen zur Befreiung aus Griffen und den Angriffen auf besonders verwundbare oder empfindsame Stellen des Körpers. Die dabei zu überwindende Hemmschwelle ist individuell extrem unterschiedlich. Die Hemmschwelle, eine eventuell todbringende Handlung durchzuführen, ist auch im Kampf so hoch, dass sie im Strafrecht lange als Indiz eines Vorsatzes interpretiert wurde (siehe Hemmschwellentheorie und Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. März 2012).

Talhoffer DolchNimmt man in Selbstverteidigungskursen dem Gegner ein Messer ab und sticht ihn damit nieder, so übt man eine Tötung. Um dies zu einer erfolgreichen Technik zu machen, muss man die Hemmschwelle durch reflexhaftes Handeln umgehen. Eine Hemmschwelle abzubauen, ist sozial kaum verträglich und unmenschlich. Logosch folgend ist die Technik ist somit so häufig zu üben, dass ein Empfinden und Nachdenken nicht stattfindet. Somit kann ein weiterhin sozial korrekt eingestellter Mensch, eine Gewalttat im Reflex durchführen.

Eine einzelne Technik beantwortet exakt eine Situation. Verwandte Situationen können eventuell gemeistert werden. Doch oft reicht es schon, wenn das „falsche Bein“ vorne steht, dass die mühsam einstudierte Technik  versagt. Kampfkunst Techniken setzen sich aus der Anwendung vieler Prinzipien zusammen, die wie die Einzelteile eines gut sortierten Werkzeugkasten für das jeweilige Problem zur Anwendung kommen. Es macht keinen Sinn einen ¾ Zoll-Schraubenschlüssel bei einer M2-Kreuzschlitzschraube anzusetzen, auch wenn beide das Wort „Schraube“ beinhalten.

Werden in einem Kurs “Reflexe” und “fixe Techniken” geleert, die den Angreifer “ausschalten” sollen, so wird in dem Kurs etwas vermittelt, das weder dem Gesetz, noch der Realität, noch der Lehrmeinung über das Lernen von Bewegung entsprechen.

Tipp: Basieren die Techniken des Kursanbieters maßgeblich auf schwerwiegende Verletzung des Gegners, kehrt machen!

“Selbstverteidigung leicht zu erlernen & sehr effektiv ” (aus einer Werbung)

wen ubunge ist besser wenne kunst / denne übunge  tawg wol ane kunst aber kunst tawg nicht wol ane übunge (aus einem Fechtbuch 1389-1420)

Wir bieten keine Selbstverteidigungskurse an, weil wir bestimmte Vorrausetzungen dazu nicht erfüllen wollen. Wir bieten Kampfkunst an. Dass sich aus dem regelmäßigen und beharrlichen Üben dieser Kunst automatisch die Fähigkeit ergibt, sich selbst körperlich zu verteidigen, ist kein Zufall und keingroßes Geheimnis. Es ist eine ebenso fundamentale wie banale Wahrheit: wer kämpfen kann, ist weitaus weniger potentiellen Angreifern körperlich unterlegen.

Kämpfen bedeutet, dass man Gewalt meistern kann (sieh dazu unseren Artikel). Sie erschreckt nicht, sondern wird als Mittel zur Tat aber auch als Mittel zur Abwehr erkannt. Ein Opferverhalten ist somit weniger wahrscheinlich. Ganz ausschließen lässt sich das nie, denn eine Überwältigung durch Hinterhalt oder Überforderung ist grundsätzlich immer möglich.

Wir brechen mit den Rollen von Opfer und Tätern. Wir üben in hohem Respekt vor unserem Gegenüber. Diese Wertschätzung kann zusammen mit dem Verlust der Angst vor Waffen und Angriffen tatsächlich ein höheres Selbstwertgefühl erzeugen (aber auch das ist nicht unser Ziel, sondern ein völlig normaler Aspekt der Kampfkunst). Auch führt Kampfkunst bekannter Weise zu der Erkenntnis und dem Bewusstsein, was der eigene Körper und Geist leisten können. Doch auch das ist „nur“ ein Nebeneffekt.

Die Kampfkunst ist unserer Auffassung der Weg, sich besser verteidigen zu können und mit Wahrscheinlichkeit nicht als Opfer wahrgenommen zu werden. Deswegen lehren wir nur Kampfkunst, keine Selbstverteidigung.

Abschließend möchten wir noch darauf hinweisen, dass es recht gute Kurse zur Selbstbehauptung in sozialen Konflikten, zur Deeskalation bei Aggression, oder zur Gefahrenerkennung gibt. “Gefährliche Orte” am Wohnsitz oder in Reisezielen kann man bei den Behörden erfragen. Gerade bei Reisen sollte man sich vorab informieren. Prävention ist unserer Auffassung nach, die schnellste Verteidigung.