Das Internet ist voll von Videos und Textbeiträgen, welche die einzige und nur dort erhaltbare Wahrheit über Messerkampf erzählen. Diese Videos sind je nach Bedarf von Experten mit echtem oder aufgesetzten Wissen erstellt worden. Sie erzählen sowieso nur die ebenso banale wie offensichtliche Wahrheit, dass Messerkampf blutig ist. Doch worin unterscheidet sich moderner “echter” Messerkampf vom historischen “echten” Messerkampf und die dazu gehörigen Kampfübungen und -künste?

Die Klingenlängen der mittelalterlichen Dolche variierten im Schnitt von 15cm bis 30cm. Da wir Menschen uns von der biologischen Beschaffenheit auch kaum von unseren Vorgängern unterscheiden, sind die rein technischen Unterschiede zu heute vernachlässigbar. Doch mit Sicherheit ist die historische Lehre in Hinsicht der Gewaltbereitschaft anders zu betrachten. Die Mehrheit der modernen Menschen geht nicht mit nüchterner Tötungsabsicht in einen Kampf, sondern mit dem Entsetzen, angegriffen zu werden. Mit dem Satz „Erschrickst du gern, kein Fechten lern“ stellt die historische Lehre, den sachlichen Umgang mit der Gewalt als Vorbedingung fest. Dies steht so stark im Kontrast zu dem meist emotionalisierten Ansatz moderner Kampfkunst, dass sich ein direkter Vergleich einzelner Lehrinhalte der “Schulen” erübrigt.

Inwieweit historischer Dolchkampf in heutiger Zeit noch sinnvoll Anwendung finden kann, mag von denjenigen bezweifelt werden, die gerne und grundsätzlich abfällig über „Konkurrenz“ im Geschäft mit den Ängsten und der Selbstverteidung reden. Wir beteiligen uns an solchen Diskussionen nicht, sondern lehren eine nachweisbar wirksame Kampfkunst aus alter Zeit mit ihren Waffen.

Hauen und Stechen

Dem mittelalterlichen Dolchkampf wird von modernen Vertretern der Kampfkunst oft vorgeworfen, dass man nicht schneidet, haut und hackt. Doch dies ist völlig irrig. Messerkampf und Dolchkampf stehen in Verbindung und werden doch unterschieden: das Messer sticht, schneidet und hackt, der Dolch sticht.  Schneiden und Hacken benötigen eine relativ große Bewegung und hohe Energie, um ernsthaft Wirkung zu erzielen, und können daher mit größeren Waffen geübt werden. Für einen Stich wie einen so genannten Lungenfuchser reichen 3 Finger tief im Brustkorb für das es keinerlei Kraft benötigt. Nur logisch, dass die alten Fechtmeister dem Dolchstich, ein eigenständiges Kapitel gewidmet haben.

Ausschließlich in dem Bestreben, die alten Lehren so genau wie möglich zu vermitteln, halten wir uns auch an die Einteilung der Lehrbücher. Diese besagt, dass das Hauen, Hacken, und Schneiden, mit den dafür am besten geeigneten Waffen geübt werden soll. Die Lehrbücher unterscheiden daher zwischen dem langen Messer mit der langen Schneide und dem kurzen Dolch. Die Übergänge zwischen Dolch und Langen Messer sind fließend. Es existiert keine harte Unterscheidung zwischen einer Bauernwehr und einem größeren einschneidgen Dolch. Der einzige Unterschied ist die Einteilung in Unterrichtsfächer. So wie man auch Mathematik in den Berechnungen der Physik benötigt, existieren beide Fächer parallel, zu beiderseitigem Nutzen.

Dem mittelalterlichen Dolchkampf fehlt nicht das Hauen, Hacken und Schneiden. Es wird lediglich in einem anderen Unterrichtsfach gelehrt. Im modernen Messerkampf, unterrichtet man nicht mehr das Fach „Ringen“, „Langes Messer“, „Einhandschwert“ oder „Rapier“. Daher wird munter vermischt und je nach Schwerpunkt unterrichtet. Das muss weder schlechter noch besser sein. Es ist nur weniger umfänglich und anders strukturiert. Der Unterschied liegt allein darin begründert, dass man in der modernen Welt nicht mehr mit Schwertern kämpft.

Griffweisen und Stiche

Ein weiterer Vorwurf des modernen Messerkampfes an den mittelalterlichen ist die Verwendung von ausschließlich „unrealistischen“ Griffweisen und Stichen, die so in der modernen Welt nicht vorkommen. Auch dies könnte kaum falscher sein.  Der mittelalterliche Dolchkampf weist weitaus mehr Griffweisen vor als der allgemein als „modern“ gelehrte:

  • Französiche Griff
    Der sich bewegende Daumen am Heft ist näher zur Klinge und der kleine Finger näher am Griffende: dem Knopf. Die Blatt schaut somit „oben“ aus der Hand hinaus. Dieser Griff wurde im Spätmittelalter als der „Welsche Griff“ bezeichnet. Die regionale Zuordnung war somit zu Frankreich und Italien schon gegeben. Der Franzöische Griff ist im modernen Messerkampf und im Mittelalter im Langen Messer und einändigen Schwert meist geführte Griff. Diese Griffweise erlaubt eine sehr variantenreiche Führung der Waffe.
  • Eispickel-Griff
    Es ist nun der Daumen am Knopf, der kleine Finger näher zur Klinge. Die Klinge schaut unten aus der Faust heraus. Dieser im mittelalterlichen Scheibendolch häufige verwendete Griff erlaubt sehr schnelle und ungeheuer kräftig geführte Stiche.
  • Halbdolch
    Wie im Halbschwert wird mit der freien Hand in die Klinge gegriffen. Der Fechter erhält nun einen kleinen Stock in beiden Händen und einen kurzen Dolch, der unten aus der ehemals freien Hand heraus schaut. In dieser Griffweise kannstark geblockt, gehebelt und gewürgt werden.
  • Zwei Hände am Griff
    Für diese Griffweise werden in den Fechtbüchern kaum konkreten Stücke angeboten. Sie ist aber durchaus plausibel und wird nicht nur im Fechtbuch von Hans Talhoffer dargestellt. Der auf dem Schlachtfeld übliche Stoff– und Kettenpanzer war nur mit hohem Krafteinsatz von breiteren Klingen zu durchdringen. Der doppelte Griff mag hier eine Notwendigkeit gewesen sein.