Die Historische Fechtkunst ist keine Neuerfindung des frühen 21. Jahrhunderts, sondern eine kontinuierliche Erscheinung im Sport. Mit nur kurzer Unterbrechung von Kriegsende bis in die 1970er lässt sich national wie international ein beständiges Interesse an der alten Fechtliteratur feststellen. Auch die Zeit des Nationalsozialismus unter Adolf Hitler machte da keine Ausnahme. Ein Buch, geschaffen von einem deutsch-bündischen Autor steht sinnbildlich für die Intention der nationalistischen, völkischen Kindererziehung im Zusammenhang mit Historischer Fechtkunst.
Wiederentdeckung
Das Buch “Ritterliche Waffenspiele” in der Fassung von 1935 liegt mir persönlich seit 2005 als Besitz vor. Somit war ich einer der ersten, die sich im Rahmen der neueren Historischen Fechtkunst damit auseinandersetzten. Ich habe es bisher vorgezogen, dieses Kapitel der deutschen Historischen Fechtkunst nicht weiter zu präsentieren. 2017 erschien von Jeffrey Hull eine Übertragung des Buches ins Englische mit einem völlig irritierendem Vorwort. Dieses verharmlost in jeglicher Hinsicht die Intention des Buches und endet mit folgenden Worten:
“In der Tat ist dieses Buch ein höchst relevantes und dynamisches Vermächtnis, um alle modernen europäischen Jugendlichen in ihr ethnokulturelles Geburtsrecht der ritterlichen Kampfkünste einzuführen:
Denn dieses Erbe gehört ihnen und wird ihnen immer gehören, sofern sie sich ebenfalls dafür einsetzen. Möge es sie dazu führen, sich selbst zu bewaffnen und und ihre schönen und geliebten Jungfrauen zu schützen, wie es heutzutage so dringend nötig ist. Mögen diese besagten europäischen Jugendlichen – wo immer sie sich auf dieser Erde befinden mögen – eine positive nationalistische Regeneration jenseits der negativen globalistischen Entartung vollziehen, die ihnen von modernen Schulen, Regierungen, Finanzwesen, Unterhaltung und Massenmedien Medien aufgezwungen wird. Mögen sie immer und für immer ihren Stolz und ihre Wildheit bewahren. Mögen diese Jugendlichen ihr wahres Selbst finden und ein erfülltes Leben genießen, frei und wild inmitten von Wäldern und Feldern, mit ihren Schwertern im Licht der Sonne kämpfend. In der Tat muss die europäische Jugend von heute vom Hass auf die Vergangenheit und damit auf ihr eigenes Wesen befreit werden, die sie beide nicht geschaffen haben. Sie muss ermutigt werden, die Zukunft zu lieben und damit ihr eigenes Werden, das sie hoffentlich zu ihrem größeren Ruhm schaffen wird. So mögen die Aktivitäten dieses Buches unsere schöne und geliebte Jugend zu einem besseren Morgen führen! ~ JH“
Ich möchte dieses Vorwort und die Intention von Jeffrey Hull nicht weiter kommentieren. Sie ist erschreckend offensichtlich. Sein Werk ist frei verfügbar und auch bei Amazon und anderen zu erwerben. Daher halte ich es für wesentlich, den Kontext des Buches und die dahinter liegende Intention, ebenso wie den Inhalt deutlich zu machen. Ich beginne mit dem Verfasser des Buches von 1935.
Hartmut
Wilhelm Fabricius (1894 bis 1989) war ein Pfadfinder, Forstwissenschaftler und der Sohn des Freiburger Altphilologen Ernst Fabricius. Die Kombination zwischen Pfadfinder und Sohn eines Literaturwissenschaftlers für Texte des Altertums und Mittelalters, wird ihn eventuell dazu bewogen haben ein Buch über die Historische Fechtkunst zu verfassen, dass als Anleitung für die Jugend dienen sollte, sich ritterlich zu schlagen und miteinander zu fechten. Sein Hang zum Mittelalter machte er vermutlich bereits in dem Wahl seines Pfadfindernamens “Hartmut Ekkehart” gebildet aus dem St. Gallener Chronisten des 10. Jahrhundert und dem dortigen Abt Hartmut aus dem 9. Jahrhundert.
“Hartmut” war ein überzeugter Deutschnationaler und brachte seine deutschvölkische Agenda in sein Handeln ein. So schrieb er 1920 in seine Rede als ‘Landesvogt’ der badischen Pfadfinder: “Wir alle müssen mithelfen, deutsche Sitte, deutsche Treue, deutsche Ritterlichkeit und deutsches Christentum als starke Hüter zu bewahren vor Verzerrung und Verflachung“.
Die deutschen Tugenden verklärte er zu ritterlichen Idealen und betonte gleichzeitig, jegliche politsche Parteilichkeit abzulehnen. Das “Ritterliche” findet sich seiner Ansicht nach insbesonders im Körperlichen wieder: “Im ritterlichen Wettkampf mit Wurspeer und Bogen, mit Kugel und Stein, Laufen und Springen, Schwimmen und Klettern, Turnen und Ringen lernen wir das körperliche ‘Allzeit Bereit’!“
Fabricius leitete den Pfadfinderbund seit 1924 als Reichsvogt und führte den streng deutsch-bündischen Kurs seines Vorgängers fort. Er setzte dabei stark auf das “Führerprinzip” und dieses in Gegensatz zum Kameradschaftsprinzip, welches von den eher politisch links stehenden Bünden bevorzugt wurde. Seinen Pfosten als Reichsvogt verlor er – laut eigener Darstellung – 1931 an Herbert Hirschberger, da er keine Mitgliedschaft der NSDAP aufwies. Tatsächlich war Fabricius dem politschen Parteienwesen eher abgeneigt. Sah er doch die Aufgaben der Bildung einer neuen deutschen Herrenrasse zweigeteilt in politischer und geistiger Führung, von denen die erstere der NSDAP überlassen war und die zweite den bündischen Organisationen.
“Deutschlands Erwachen braucht eine agitatorische, ungeistige Erweckung der Massen und eine führerische, geistige Bewegung des deutsch-blütigen Herrenmenschen, denn die kann kein Massenrausch erfassen.” (Fabricius, “Hiterjugend und bündische Jugend. Eine Entgegnung”, in “Waffenschmiede. Führerblätter des Deutschen Pfadfinderbundes”, 1929).
Die nationalsozialistische Führung hatte wenig Interesse an der Teilung der Führung und die Auflösung der kleinen Bünde war vorraussehbar. Im vorrauseilenden Gehorsam gegenüber der nationalistischen Führung fanden sich die Bünde im Großdeutschen Bund wieder und Fabricius versuchte sich als Bundesjungenschaftsführer des Großdeutschen Bundes und exerzierte vom 3. bis zum 4. Juni 1933 auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager unter der Hakenkreuzflagge (Archiv der deutschen Jugendbewegung, AdJb Fonds F 1 Series 615). Doch der frisch gekrönte Reichsführer der Deutschen Jugend, Baldur von Schirach, verbot kurz darauf den Großdeutschen Bund und vereinahmte die gesamte Jugend in der Hitlerjugend.
Während wenige bündisch Organisierte (oft mit kommunistischen Hintergrund) wie beispielsweise die “Deutsche Jugendfront” Widerstand leisteten und die Zeitschrift “Kameradschaft” vom Wirken bündischen Widerstands zeugte, fand sich Fabricius als deutsch-völkischer Naturburschenführer in der Hitlerjugend ein. Fabricius wurde Jungbannführer (HJ-Stammführer) unter Fritz Östreicher für den Untergau “Bauland” im “Jungbann 2/112” (Oberbann 3 Nordbaden, Gebiet 21 Baden). Er fand seinen Platz im Jungvolk, eine Unterorganisation der Hitlerjugend für Jungen im Alter von 10-14. Fabricius war beruflich inzwischen Forstrat in Gerlachsheim in Baden und selbstverständlich auch in der NSDAP.
Im Jungvolk kann er frei wirken und mit den Jungs seine Vorstellung von deutscher Ritterlichkeit im völkischen Sinne ausleben. Eifrig wirkt er an Schriften mit und verfasst das Buch “Ritterliche Waffenspiele” für die Publikationsreihe “Rucksack Bücherei”, das 1936 in der Franckh’sche Verlagshandlung erschien.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus verfasste Fabricius nicht nur dendrologische Fachartikel, sondern eine Vielzahl von Publikationen über seine Pfadfinderzeit (unter seinem eigenen Namen und dem Pseudonym “Hartmut Ekkehart”) und die damit verbundene Geschichte, die höflich gesprochen für die Aufarbeitung der tatsächlichen Ereignisse nicht hilfreich waren, aber bis in die 2010er die “erzählte” Geschichte der Pfadfinder prägten. So finden sich in heutigen Publikationen der Pfadfinder weiterhin eine völlig verklärte Darstellung der Zeit unter der Führung von Fabricius, und als Krone der Ironie wird die angebliche Widerstandskraft der bündischen Bewegung betont. Während Fabricius bis ins hohe Alter weiterhin die These vertrat, dass das deutsche Volk eine Führungsrolle naturgemäß inne hätte.
Die “Rucksack Bücherei”
Die Franckh’sche Verlagshandlung, W. Keller & Co erweiterte um 1910 sein Spektrum als Spieleverlag in gedruckter Form, was als Ergänzungsstück zur der wissenschaftlichen Kosmos Reihe gedacht war. In den Verlagspublikationen erschienen nicht nur weltberühmte Jugendromane, sondern auch Spiele und Bücher zur Spielanregung für Kinder und Jugend.
Die Jugendbücher zielten ab 1933 auf die Konsumenten ab, die im Jungvolk und generell in der Hitlerjugend organisiert waren. In der ab 1933 produzierten Reihe “Rucksack Bücherei” erschienen kleine weich gebundene Bücher mit Klebebindung mit Anregungen für Spiele, Selbsterziehung und Ratgebern. Geschichtlich kann aus heutiger Sicht festgestellt werden, dass diese Reihe wenig anderes war, als eine Vorbereitung der Jugend auf einen kommenden Krieg unter deutscher Ordnung (siehe dazu “Totale Erziehung für den totalen Krieg: Hitlerjugend und nationalsozialistische Jugendpolitik”, Michael Buddrus, Walter de Gruyter, 2015).
Die ersten Bücher der “Rucksack Bücherei” beschäftigten sich mit “Tummelspielen”, der Astrologie als “Sternengucker”, dem Kochen (“Es bruzzelt im Pott”) oder mit der “Natur vor unserem Zelt”. Bald drehte sich die Reihe in praktische Ratgeber für schwierige Situationen und unbekanntes Gelände mit “Ich weiß mir zu helfen”, “Der Medizinmann” oder “Kartenlesen”. Unterbrochen von Ausgaben mit Denkspielen bewegt sich die Reihe in martialische Richtung mit “Kampf- und Kriegsspiele”, “Stadtgeländespiele” (enthält Kampfspiele) und “Ritterliche Waffenspiele”, sowie handfesten Hinweisen wie “Zeichen an der Schienenstraße” oder “Gesetze u. Vorschriften”. Eine vollständige Erfassung der Inhalte und der Bedeutung dieser und anderer Werke für die Hitlerjugend liegt wissenschaftlich nach meinem Kenntnisstand nicht vor. Die Deutung bleibt somit mir überlassen und sie fällt eindeutig aus: die Reihe dient in vorgeblich harmloser Weise dem völkischen Denken und der Vorbereitung der Ausbreitung eben dieses Volkes in anderen Lebensräumen unter zu Hilfenahme von kriegerischen Mitteln durch eine so genannte “Herrenrasse”.
Eine bildungsgeschichtliche Forschung zur Hitlerjugend erfolgte sowohl in der DDR wir auch der BRD nur sporadisch und widerwillig. Betraf dies doch die derzeit lebenden Erwachsenen (siehe Grafik unten aus “Hitler-Jugend : Primär- und Sekundärliteratur der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung”, Bibliografische Informationen Der Deutschen Bibliothek, bearbeitet von Christa Förster, 2003).
Bis heute ist das Thema der bildungsgeschichtlichen Aufarbeitung auch seitens der Verlage positiv formuliert ein “weites offenes Feld”. Fest steht jedoch ohne Zweifel, dass ohne die bildungspolitische und geistige Vorbereitung der Jugend ab 1933 kein Greuel und kein Krieg des Dritten Reiches später in dem gegeben Umfang möglich gewesen wäre.
Der Verlag Kosmos ist bis heute einer der erfolgreichsten Spieleverlage Deutschlands. Als Spiel hat die Reihe CATAN von Klaus Teuber Weltruhm erzielt.
Die Publikation
Wilhelm Fabricius verfasst dieses Buch für die Hitlerjugend als Forsetzung seiner bestehenden Arbeit. Für ihn ergab sich in der tatsächlichen Jugendarbeit nur wenig Unterschied zu vor 1933. Faktisch nimmt er die Symbolik des Nationalsozialismus auch in seinen Zeichnungen auf und integriert seine Vorstellung von “Zucht und Ordnung” in die Gefolgschaft der Hitlerjugend. In seinem Vorwort zu dem Buch schreibt er:
“Für alle ritterliche Kunst ist Zucht und Ordnung ebenso selbstverständlich wie bei allem anderen HJ-Tun. Und diese Vorschrift ist ebenso wenig am Schreibtisch entstanden wie alle anderen. Wier betreiben diese Dinge nun seit Jahren udn haben sie jetzt niedergeschrieben als ‘Kenner’. Und wir leben alle noch, unverletzt, und keine Beule und kein Striemen kann unsere Kampffeude stören.”
Das zweite Grußwort wird vom strengen Nationalsozialisten und NSDAPler der ersten Jahre, Friedhelm Kemper, verfasst:
“Wir wollen ein tapferes und hartes nationalistisches Jungengeschlecht erziehen. Unser Kamerad Stammführer Wilhelm Fabricius hat durch seine Fechtspiele unsern Jungen einen Weg zur Geschicklichkeit, Unerschrockenheit und zur zähen Haltung im Kampf gewiesen.”
Kemper war Führer der Hitlerjugend (HJ) in Baden und Abgeordneter für den Wahlkreis 32 (Baden) im nationalsozialistischen Reichstag. Sein Verständnis vom Zweck dieses Buches innerhalb der Buchreihe “Rucksack Bücherei” tropft überdeutlich aus jedem Wort seines Grußes.
Das Buch ist somit unbestreitbar kein Buch zur Anleitung von Jugendlichen in die Historische Fechtkunst. Es enthält nicht nur Fechtkunst mit dem Langen Schwert und dem Säbel (als Stockfechten), sondern auch Schießkunst und einfache Ringergriffe.
Die Schießkunst mit Bogen und Armbrust ist ebenfalls wie die Fechtkunst mit Anleitungen versehen, wie die Waffen herzustellen sind. Bermerkenswert sind im Buch verstreute Hinweise, Erwachsene, die nicht in der Hitlerjugend organisiert sind, keinesfalls an die Waffen kommen zu lassen.
Historischer Bezug
Unzweifelhaft hatte Wilhelm Fabricius Zugang zu Fechtbüchern insbesondere der Bezug zu dem Druckwerk von Joachim Meyer (Augsburg, 1600) ist klar zu erkennen. Er kopiert weitgehend im Original das Fechtgedicht aus dem Buch von Meyer.
Kopie Fabricius:
Mit dieser Wehr raich weit und lang
Dem Hauw nach für sich über Hang
Mit deinem Leib, darzu trutt ferr
Dein Häuw führ gwaltig um jn her
Zu all vier Enden laß die fliegen,
Mit Geberden, Zucken, kanst jn triegen,
In die Sterk solt du versetzen,
Mit der Schwech zugleich jn letzen.
Auch neher solt du kommen nit,
Denn dast jn langest mit eim Trit.
Wann er dir wollt einlauffen schier
Das vorder Ort, treib jn von dir.
Wer er dir daber glauffen ein,
Mit Greiffen, Ringen der erst sollt sein.
Der Sterk und Schwechnimm eben war,
Indes, die Blös macht offenbar.
Jn vor und nach darzu recht tritt,
Merk fleißig auf die rechte Zit
Und laß dich bald erschrecken nit.
Original Joachim Meyer 1600:
Mit diser Wehr raich weit und lang /
Dem Hauw nach fürsich überhang /
Mit deinem Leib / darzu trit ferr /
Dein Häuw führ gewaltig umb jn her /
Zu all vier enden laß die fliegen /
Mit geberden / zucken / kannst jn triegen
In die sterck solt du versetzen /
Mit der schwech zugleich jn letzen /
Auch näher solt du kommen nit /
Dann dast jn langest mit eim trit /
Wann er dir wolt einlauffen schier /
Das vorder ort / treibt jn von dir /
Wer er dir aber glauffen ein /
Mit greiffen / Ringen / der erst solt sein /
Der sterck und schwech nimb eben war /
Indeß / die Blöß / macht offenbar /
Im Vor / und Nach / darzu recht trit /
Merck fleissig auf die rechte zeit /
Und laß dich bald erschrecken nit.
Die Abweichungen in der Kopie lassen sich dadurch erklären, dass Fabricius eine handschriftliche Abschrift des Fechtgedichtes vorliegen hatte bei der Verfassung seines Buches und kein Original. Auch an anderen Stellen seines Buches ist für Kenner der Schriften von Joachim Meyer ersichtlich, dass Fabricius mit handschriftlichen Notizen als Vorlage gearbeitet haben muss.
Die zentralen Begriffe der Liechtenauer Fechtkunst “Vor, Nach und Indes” sagen Fabricius relativ wenig. So liest er “Im VOR, und NACH” als “Ihn vor und nach darzu recht tritt” und er munkelt in den Fußnoten “‘Indes’ ist der Hau in den zu langsamen gegenerischen Angriff auf dessen offene Blöße. Bei diesem ‘Hauw Indes’ sind besondere Schrittbewegungen oder Sprünge notwendig, ebenso wie bei Angriff und Nachhau entsprechende Schritte gemacht werden.“
Auch wenn sein Fechtzettel erahnen lässt, dass er zumindest indirekt Kenntnis von weiteren Fechtquellen hatte, endet dieser doch ziemlich bizarr in Wahnvorstellungen von Heldentum und kriegerischer Ästethik.
“Du sollst mit deinem Gegner und auf seinen Leib fechten, nicht mit des Gegners Schwert und auf seine Waffe. Du sollst nicht tippen, sondern mit viel Schwung den Gegner treffen, als ob er noch heute im BÜffelkoller stände. Mit dem Langen Gehülz kannst du den Hau kurz vor dem Treffen stoppen, so daß er trotz des Schwunges leicht aufkommt.
Das Zu- und Abfechten zeigt den Schneid und die Geschmeidigkeit, das Beigefecht die Kunst und Schnelligkeit des Fechters, das Greifen Geistesgegenwart und Härte.
Gewandtes, nicht ängstliches Ausweichen ist erlaubt, sofern der Gegner dabei im Aug behalten wird.
Alles Fechten ist nur dann zünftig, wenn es in jedem Augenblick stolz und gut aussieht.“
Fabricius stellt Stolz und Herrlichkeit höher als die Sicherheit und erlaubt Ausweichen nur im Sinne der Raffinesse und nicht zum Selbstschutz. In seinem Buch betont er fleißig, wie edel und männlich junge Menschen mit stumpfen Verletzungen umgehen sollen. Die vom Nationalsozialisten Kemper geforderte Härte scheint er vollumfänglich mitzutragen.
Darstellungen
Die Zeichnungen im Buch sind die eines geübten Pflanzenforschers und ähneln im Stil den üblichen Darstellungen in der Fachliteratur der entsprechenden Epoche. Bei dem Versuch, Bewegung abzubilden greift er in Einzelfällen auf gestrichelte Halbbilder zurück, die einen Anfangs- und Endzustand der Bewegung darstellen sollen.
Die Korrektheit und Qualität der Zeichnungen ist durchweg akzeptabel. Doch wie in den Mittelalterlichen Fechtbüchern finden sich auch bei Fabricius Arm- und Handpositionen, die körperlich nicht durchführbar wären. Die Abläufe und manche Häue sind freie Erfindungen des Autors und haben nur einen geringen Bezug zu den Quellen der alten Meister. Als Anleitung zum Fechten aber bedingt tauglich.
Eine weitaus höhere Qualität in Zeichnung und korrekter Fechtkunst findet sich in dem Stockfechten, welches er modernen Fechtbüchern abgeschaut hat. Sie sind mehr oder weniger direkte Kopien aus dem Hiebfechten gängiger Fechtliteratur des frühen 20. Jahrhunderts und evtl. etwas früher.
Von hoher Qualität sind die Zeichnungen als Bauanleitungen oder von tatsächlich vorliegenden Gegenständen. Hier zeigt sich die Übung des Pflanzenforschers bei der grafischen Darstellungen von Objekten.
Fechterischer Inhalt
Die in dem Buch enthaltene Kampfkunst ist eine Mischung zwischen wilder Fantasie und Interpretation weniger historischer Quellen. Dies zusammengefasst in einer Form wie sie vielleicht Kinder begeistern könnte. Der unbedingte Wunsch aus jungen Menschen “Klopffechter” zu machen, erzeugte manch fragwürdige Technik. Oft wird deutlich, dass die gezeigten Inhalte vielleicht mit 10-14 jährigen Jungs nur deshalb gelingen mögen, da sie von erwachsenen Führer-Autoritäten überzeugt wurden, dass es funktioniert. Die gleiche Idee angesetzt an einigermaßen geübte Erwachsene, würde weder funktionieren, noch Zustimmung finden.
Dass ein Hieb, wie in dem Bild auf Seite 723 oben gezeigt mit dem Gehiltz innerhalb dieser Armposition “gefangen” werden soll, ist eine ziemlich wagemutige Sache, insbesonders in Abwesenheit irgendwelcher Schutzkleidung für die Hände. Ähnlich fragwürdiger (aus Kampfkunst-Sicht) Unsinn findet sich auf weiteren Blättern.
Die von Fabricius im Langen Schwert gesetzten Regeln, ausschließlich in den Grenzen eines “Fechtraum” zu arbeiten (bestehend aus zwei Kreisen um die Fechter in Schwertlänge mit einer umkämpften Schnittmenge), sollen Sicherheit geben. Auch die hohen “Trefferzonen” und die Abwesenheit von Stichen schränken die Verletzungsgefahr ein. Damit sinkt jedoch auch der Wert der gesamten Anleitung zum “Zweihänder” aus der Perspektive der Kampfkunst. Ausschließlich die dort enthaltenen Ringen stellen eine einigermaßen sinnvolle Übung dar.
Der Stockkampf wäre eine sinnvolle Fechtkunst, da die leichteren Waffen keine große Gefahr darstellen und somit “realistischer” auf Hieb gefochten werden könnten. Hier präsentiert Fabricius jedoch nur 16 Seiten Anleitung, was vermutlich dem geschuldet ist, dass es bereits ausreichend anderes Material dazu gibt (Umfang im Langen Schwert sind 38 Seiten).
Das Bogenschießen behandelt er relativ ausführlich und scheinbar sinnvoll auf 13 Seiten, während das Armbrustschießen maßgeblich aus Bastelanleitung besteht.
Zusammenfassung
Das Buch hat keinerlei Wert im Bezug auf die Historische Fechtkunst außerhalb der bildungshistorischen und fechthistorischen Bewertung eines Produkts der aufkommenden und später beherrschenden völkischen Bewegung. Das Werk dokumentiert allerdings die andauernde und kontinuierliche Beschäftigung von Menschen mit den Fechtbüchern vergangener Jahrhunderte.
Im Rahmen der historischen Einordnung stellt das Buch ein Zeitdokument der verzerrten geschichtlichen Darstellung und der damit verbundenen Manipulation der Jugend in der entsprechenden Epoche dar. Es lässt klar erkennen, dass eine Jugend herangezogen werden sollte, die sich durch besondere Härte im Kampf auszeichnen sollte. Fechtkunst wird als Transportmittel für völkisch verfremdete ritterliche Ideale missbraucht.
Es wäre durchaus wünschenswert, wenn der wissenschaftliche Korpus zur bildungshistorischen Literatur der Hitlerjugend umfassender wäre. Es erscheint mir, dass hier eine Aufarbeitung der NS-Zeit und der Vorbereitung des völkischen Denkens in der Jugend durch Autoren und Verlage noch zu leisten ist. Die Betrachtung der Bündischen Jugend hat dank neuer Publikationen (wie unten gelistet) etwas Besserung erfahren. Seitens der Pfadfinder selber ist die “Verklärung” jedoch immer noch deutlich sichtbar. Ich hoffe, mit diesem Artikel, etwas dazu beigetragen zu haben, den verklärenden Nebel zu lüften.
Weiterführende Literatur:
- Jugend im Dritten Reich. Die Hitlerjugend und ihre Gegner. Arno Klönne, Papyrossa; 3te Ausgabe, Januar 2008)
- Bündische Jugend: Eine neue Geschichte 1918-1933, Rüdiger Ahrens, Wallstein Verlag, August 2015
- Die Verklärung des Bündischen. Zur politischen und emotionalen Dimension eines schillernden Begriffs, Rüdiger Ahrens, 2017
- Pfadfinderische Beziehungsformen und Interaktionsstile: Vom Scoutismus über die bündische Zeit bis zur Missbrauchsdebatte, Wilfried Breyvogel, Springer-Verlag, Mai 2017