Im Ludwigshafener Verlag Angelika Hörnig erschien 2017 “Pfeil und Bogen in der römischen Kaiserzeit” von Holger Riesch. Jan H. Sachers hat sich das Buch genauer angesehen und ausführlich besprochen. Wir veröffentlichen die Besprechung inklusive der Links zu seinem Online-Handel: HistoFakt.de.

Pfeil und Bogen spielen in der Erforschung und Darstellung des römischen Militärwesens traditionell eine sehr untergeordnete Rolle – verständlicherweise, denn das Thema ist überaus komplex, verwirrend und widersprüchlich, es erinnert geradezu an ein Puzzle, bei dem die Teile nicht nur zusammengefügt, sondern zunächst einmal gefunden, gereinigt, sortiert und auf ihre Verwendbarkeit geprüft werden müssen. Dieser Aufgabe hat sich Holger Riesch nun dankenswerterweise angenommen und einen umfassenden Überblick zur Forschung der vergangenen 20-25 Jahre zusammengestellt.

Der Autor gilt seit Langem zu recht als Autorität der Erforschung von Pfeil und Bogen in Antike und Frühmittelalter. Zahlreiche Aufsätze, z.B. in der Zeitschrift „Waffen- und Kostümkunde“, sowie Buchbeiträge (u.a. in „Das Bogenbauer-Buch“ (2001), „Reflexbogen“ (2009), „Steppenkrieger“ (2012)) legen Zeugnis von seiner Sachkenntnis und strengen methodischen Vorgehensweise ab. Sein 2002 erschienenes, inzwischen leider vergriffenes Buch „Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit“ ist noch immer das maßgebliche Standardwerk zum frühmittelalterlichen Bogenschießen – seither gemachte Entdeckungen und neu gewonnene Erkenntnisse bestätigen praktisch ausnahmslos die von Riesch postulierten Befunde.

Ein ähnliches Schicksal dürfte seinem neuesten Werk „Pfeil und Bogen in der römischen Kaiserzeit“ beschieden sein. Mit der dem Autor eigenen Gründlichkeit werden praktisch alle verfügbaren archäologischen, ikonographischen und literarischen Quellen vorgestellt, ausgewertet und zueinander in Beziehung gesetzt. Für vergleichende Zwecke werden die Grenzen des Römischen Reiches und des gewählten Zeitraums dabei zuweilen überschritten und der Band liefert zugleich ein Bild des Bogenschießens bei Sarmaten, Dakern, Parthern, Hunnen und etlichen anderen spätantiken Völkern.
Schon das vier Seiten umfassende Inhaltsverzeichnis zeugt von der analytischen Sorgfalt, Methodik und Detailversessenheit, mit der sich Riesch seinem Gegenstand nähert. Die behandelten thematischen Aspekte reichen von der Herstellung von Pfeil und Bogen, deren Entwicklung und Verbreitung über ihren Einsatz, ihre Benutzer, Schießtechniken und Wirkung gegen verschiedene Formen von Panzerung bis hin zur Behandlung von Pfeilwunden.

Wesentliches Charakteristikum, das die Verwendung von Pfeil und Bogen in den Armeen der römischen Kaiserzeit prägt und zugleich deren Erforschung so komplex und widersprüchlich gestaltet, ist das synchrone bzw. parallele Auftreten unterschiedlicher Traditionen, Bogen- und Pfeilformen, Schießtechniken und technischer Entwicklungen. Die militärischen Bogenschützen rekrutierten sich überwiegend aus Völkern mit lang etablierten, eigenständigen Formen des Umgangs mit Pfeil und Bogen. Daraus resultiert u.a. eine sehr unübersichtliche Vielzahl verschiedener Bögen, die in zeitgenössischen Kunstwerken nicht immer präzise dargestellt werden, auf höchst komplexe Weise untereinander verwandt sind und zudem während des Betrachtungszeitraums weiterhin technischen und stilistischen Veränderungen unterworfen blieben.
Weitere Problemfelder betreffen z.B. die Entwicklung von Pfeilspitzen in Relation zu Innovationen im Bereich der Körperrüstung oder Fragen der Schießtechnik wie etwa die Nutzung von Daumenringen im Kontrast zum „mediterranen“ oder anderen Fingerauszügen.
Selbst die Fülle des von Holger Riesch zusammengetragenen Materials vermag nicht alle offenen Fragen abschließend zu beantworten, doch seine Sammlung sowie die Rekonstruktion und Erprobung von kaiserzeitlichen Bögen und Pfeilen legen manche Schlussfolgerung nahe. Im Gegensatz zu vielen selbsternannten „Experten“ vermeidet der Autor, seine persönlichen Überzeugungen als Fakten zu auszugeben, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Präsentation der Zeugnisse und deren kritische, vergleichende Analyse. Allenfalls stellenweise lässt sich erahnen, welche Sichtweise Riesch gerne durch neue, zusätzliche Nachweise belegt sehen würde.

Leicht macht es der Autor seinen Lesern allerdings nicht. Die 300 großformatigen Seiten sind prall gefüllt mit akribisch recherchierten Informationen, nachvollziehbar begründeten Schlussfolgerungen, Quellen- und Literaturbelegen sowie nicht zuletzt 200 aufschlussreichen Abbildungen, von denen etliche hier zum ersten Mal in der deutschsprachigen Literatur vorgestellt werden dürften. Riesch argumentiert auf sehr hohem fachlichem und sprachlichem Niveau und versucht gar nicht erst, seinen hochkomplexen Gegenstand als leicht konsumierbare Nachtlektüre zu präsentieren.
Wer also ein Bilderbuch mit oberflächlichen Informationen zum Bogenschießen der Römer erwartet, ist bei Riesch an der falschen Adresse. Ernsthaft an der Erforschung von Pfeil und Bogen in Europa sowie dem Nahen und Mittleren Osten zur Zeit des Römischen Kaiserreichs Interessierte jedoch werden an diesem Buch nicht vorbeikommen. Nach seinem Erstling zu Pfeil und Bogen im Frühmittelalter hat Holger Riesch hiermit erneut ein Standardwerk zu Erforschung und Rekonstruktion historischen Bogenschießens vorgelegt. Noch ist das Puzzle nicht komplett, aber Umrisse und Motiv sind dank seiner Arbeit nun eindeutig besser zu erkennen.

Ludwigshafen: Verlag Angelika Hörnig 2017. 300 S., 200 Abb. ISBN 978-3-938921-50-0. € 44,- (ab 1.1.2018: € 48,-).