Lieber Leser,
verstehen Sie folgende Begriffe?

  • Waki-gatame, Koshi-uchi-mata, Tsuri-komi-goshi
  • Mae-Keage, Washide, Hasami-Zuki
  • bakkat palmok chukyeo makgi, yeopchagi
  • Bong-Sao, Gerk, Kuen

Dann sind Sie in Asiatischen Kampfkünsten gebildet und haben Ihren Horzizont erweitert. Denn die Begriffe stammen aus den in Deutschland erfolgreichsten Kampfsportarten Judo, Karate, Wing Tsun und Taek Won Do (die wunderschönen Schriftzeichen im Titelbild zeigen Aikido). Das Tolle beim Erlernen einer Kampfkunst in fremder Sprache ist, dass man neues Brauchtum und teilweise eine neue Sprache erlernt. Das schafft ein Verständnis für fremde Kulturen und ist daher erstrebenswert.

Die Sprachbarriere

Doch leider entstehen durch die unbekannten Wörter auch Hürden. Zum Teil sind sie nicht in die eigene Sprache übertragbar. Auch verbindet ein Mensch einer anderen Kultur mit dem wörtlich übertragenen Wort eine andere Bedeutung. Bei vollständig reformierten Kampfkünsten, die aus traditionellen Stilen im 20. Jahrhundert entstanden, ist die funktionale Terminologie übertragbar. Somit weisen die oben genannten zum großen Teil verständliche Begriffe auf (Waki-gatame lässt sich somit als Achselstreckhebel notdürftig übertragen). Je tiefer die Kampfkunst in ihren traditionellen Wurzeln verharrt, so schwieriger wird das Verständnis. „bao hu gio shan“ übersetzt sich unter anderem als „den Tiger zum Berg zurück tragen“. Eine Bewegung, die sich einem Europäer vom Begriff her nicht erschließt.

Versuchen wir es mal mit anderen Begriffen: Dach, Ochse, Pflug. Ohne jede Hürde erscheinen Assoziationen und ein Grundverständnis. Wir können uns leicht ein Kinderspiel vorstellen. Wer hat nicht in einem Kinderlied zwei flache Hände über den Kopf als Dach geformt? Viele von uns haben die Hände mit spitzen Zeigefingern vor den Kopf genommen und einen Stier gespielt? Der Pflug wird zwar nicht mehr in unserem Alltag mit den Händen geführt, doch wir können uns das gut vorstellen. Mit diesen drei Begriffen werden uns sofort die Handstellungen der drei wichtigsten Positionen im Schwertkampf klar. Sie sind tief in unserer Europäischen Kultur verankert.

驾驶

Wenn wir Autofahren lernen wollen, ist es nicht sinnvoll, dies in einer fremden Sprachen vorzunehmen. Selbst wenn ein freundlicher Mensch uns anleitet und jeden Begriff erläutert, werden wir mit dieser Hürde zu kämpfen haben und eventuell scheitern. Dabei unterscheidet sich das Autofahren weltweit grundsätzlich nicht. Die kulturellen Unterschiede zwischen dem Verkehr in Berlin und Karachi sind jedoch gewaltig. Vergleichbare Hürden nimmt man auf sich, wenn man eine Kampfkunst erlernen will, die in einer fremden Kultur und Sprache entstanden ist. Auch hier ist ein Scheitern möglich.

Gleich und doch sehr unterschiedlich

Kampfkünste sind funktional grundsätzlich weltweit gleich. In der reinen Bewegungskultur gibt es sogar weniger Unterschiede als im Autofahren. Funktional gibt es größere Unterschiede in der Verwendung eines deutschem Rapiers und Langschwertes, als zwischen einem deutschen Langen Messer und einem chinesischen Dao (Säbel). Lernen wir also eine Europäische Kampfkunst mit deutschen Sprachwurzeln, so lernen wir keine andere Bewegung oder Kampftechnik. Wir lernen jedoch deutlich schneller und einfacher.

Tatsächliche Unterschiede entstehen eher in den Schwerpunkten, welche die einzelnen Schulen in der Ausbildung gelegt haben. So glaubt die eine Schule, dass sie mit weichen Bewegungen effektiver und schneller zu kampffähigen Schülern kommen. Die andere Schule glaubt, dass Härte der bessere Weg ist. Der jeweilige Schwerpunkt wird vorrangig erlernt, danach der Rest bis zur Vollständigkeit. Somit kann es dazu kommen, dass eine unvollständige Ausbildung nur einen Weg kennt. Wird diese unvollständige Ausbildung als ausgereift tradiert, entstehen sehr unterschiedliche Stile. Die vollständige Kampfkunst kennt wie die vollständige Wahrnehmung der Welt  sowohl Hart wie auch Weich.

Diese Gleichheit der Kampfkunst ist durch wirtschaftlichen und kulturellen Austausch über tausende Jahre hinweg entstanden. Handelswege waren unsicher und wurden durch bewaffnete Kampfkunstexperten gesichert. Diese verkauften ihre Kunst, welche in die regionalen Begrifflichkeiten übertragen wurde. Wir haben also ein „globales Produkt“ das lokale Namen trägt. Diese Begriffe sind tief in der Kultur verwurzelt.

Willkommen in unserer Kultur

Kampfkunst kennt keine Rasse und keine Nation. Sie kennt jedoch Kultur. Die Methodik des Lernens mit ihren Begriffen muss sofern sie effektiv sein will der regionalen Kultur entsprechen. Es ist historischer Zufall, dass es wirklich sehr viele historische Quellen in der deutschen Sprache gibt, die uns bis heute erhalten geblieben sind. Obwohl sie sprachlich aus der fernen Vergangenheit stammen, sind für uns viel einfacher zu verstehen als die Begriffswelt anderer Kulturen. Das hat uns persönlich nicht gehindert, asiatische Kampfkünste zu lernen und wir danken all den freundlichen Menschen, die uns dabei geholfen haben. Wir wollen die Unterstützung, die wir erfahren haben auch gerne zurückgeben. Wir werden gerne für andere die freundlichen Menschen sein. Wir wollen Menschen mit nicht europäischen kulturellen Hintergrund helfen, sich in den Kampfkünsten Europas wohl zu fühlen. Jeder an der Kampfkunst interessierter Mensch ist uns willkommen.


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